Auf der Rundreise durch Lateinamerika hielt ich mich in Mittelamerika nur kurz auf und hatte erst wieder in Ecuador einen längeren Aufenthalt. Zunächst flog ich nach Guayaquil, der tropischen Hafenstadt des Landes. In Mexiko hatte ich mich sicher gefühlt und konnte überall allein hingehen, doch dieses Mal stieg ich mit gemischten Gefühlen aus dem Flugzeug aus. Man hatte mich davor gewarnt, mich besonders außerhalb des Zentrums aufzuhalten, und ich sollte überhaupt vorsichtig sein, da man leicht überfallen werden könnte und mir niemand helfen würde. Die Leute waren Überfälle gewohnt und würden daher einfach wegsehen. Die Sorge war jedoch unbegründet, ich war vorsichtig, das heißt ich ging nicht abends allein aus oder in dunkle Gassen und hatte auch sonst keine Probleme. Ich habe die Tage in Guayaquil schon allein wegen der freundlichen und meist fröhlichen Menschen genossen.
Schon auf dem Hinflug Anfang Juni 1963 von Buenos Aires nach Mexiko machte das Flugzeug einen Zwischenstopp in Guayaquil, und als ich um 23 Uhr das Flugzeug verließ, nahm mir damals die feuchte, heiße Luft fast den Atem; ich kam aus dem winterlich wesentlich kühleren Buenos Aires. Daher war ich nicht überrascht, dass es auch dieses Mal sehr heiß war und dass eine hohe Luftfeuchtigkeit herrschte.
Ich wunderte mich allerdings, dass bei dieser Hitze auf den Straßen im Zentrum viele leicht verderbliche Waren auf den Bürgersteigen lagen und zum Verkauf angeboten wurden: Obst, Gemüse, aber auch ganze Fische und Fleisch. Ich sah fast nur Menschen mit dunkler Gesichtsfarbe, fast keine Indigenas oder Mestizen. Ich fiel wegen meiner weißen Hautfarbe und dazu noch als allein reisende Frau auf und wurde oft angesprochen, woher ich käme und warum ich allein reisen würde. Einmal wurde ich eingeladen, an einer Hochzeit teilzunehmen, die in der katholischen Kirche der Stadt zelebriert wurde. Es wurde stundenlang mehrstimmig gesungen und anschließend in ausgelassener Stimmung im Park gefeiert. Es war ein interessanter Tag, da ich auf diese Weise Sitten und Gebräuche in Guayaquil kennenlernte. Als es Abend wurde, begleiteten mich die Eltern der Braut und verschiedene andere Leute bis zum Hotel und verabschiedeten sich herzlich von mir.
Vom feuchtheißen Guayaquil flog ich nach Quito. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war Quito nur schwer zu erreichen. Erst durch den Bau der Eisenbahnlinie von Guayaquil nach Quito und die Anlage eines Flugplatzes wurde wurde die Stadt aus ihrer Abgeschiedenheit erlöst. Ich hatte Glück, dass ich überhaupt fliegen konnte, denn der Flughafen von Quito war immer dann gesperrt, wenn es in Strömen regnete oder dichter Nebel herrschte – und das war oft der Fall -, denn er war mit seiner abschüssigen Landebahn einer der gefährlichsten Flughäfen der Welt. Da schönes Wetter war, sah ich die schneebedeckten Gipfel der über 5000 m hohen Vulkane, vor allem den des Cotopaxi, der nur rund 50 km von Quito entfernt ist und mit 5897 m einer der höchsten aktiven Vulkane ist.
Quito, deren Altstadt Unesco-Weltkulturerbe ist, liegt in einem Hochtalkessel der Anden in 2850 m Höhe und ist die höchstgelegene Hauptstadt der Welt. Die damals rund 275000 Einwohner dieser ältesten Stadt Südamerikas waren zu neunzig Prozent Indigenas oder Mestizen. Mir wurde gesagt, dass die wenigen Europäer unter dem oft schlechten Wetter mit vielen Platzregen und Hagelschauern litten und deshalb von vielen Erkältungskrankheiten heimgesucht wurden.
Trotz seiner damals fast 300.000 Einwohner wirkte Quito wie eine Provinzstadt.
Lama-Herden in Quitos Straßen
Zentrum von Quito, grün bewachsene Hänge
Die Häuser waren oft vielfarbig angestrichen und zogen sich die grünbewachsenen Hänge des Vulkans Pinchacha empor. Die Straßen waren im Zentrum teilweise so eng, dass die breitbauchigen Busse kaum passieren konnten, zumal viele Händler ihre Waren auf der Straße zum Verkauf ausgebreitet hatten.
Öffentlicher breitbauchiger Bus
Straßenverkauf in Quito
Typisches Straßenbild
Koch-Bananen als Haupternährungsmittel
Die verbreitete Art, Kleinkinder überall hin mitzunehmen
Die indigenen Frauen wandten meist ihr Gesicht ab, wenn ich sie fotografieren wollte. Man sagte mir auf meine Frage nach dem Grund, dass die Frauen Angst hätten, dass ihre Seele durch den Fotoapparat „aufgesogen“ würde, da sie bisher nur wenige Touristen gesehen hätten und ihnen daher eine Kamera suspekt wäre. Deshalb habe ich sie nie von vorne fotografiert.
Es gab sehr viele Bedürftige und Arbeitslose, auch hier war die Schere zwischen arm und reich besonders groß.
Auch in der Zeit, in der ich da war, regnete es oft und die Berge waren wolkenverhangen. Dann wurde es richtig kalt, während sich bei Sonnenschein die schöne Landschaft in bestem Licht zeigte, und auch die Menschen, die meist traurig aussahen, wirkten etwas positiver. Ich sah an den Straßenrändern oft Männer liegen, die betrunken waren. Der Pulque, der Agavenschnaps, war relativ preiswert und, genau wie in Mexiko, mühelos zu beschaffen. Mit dem Pulque konnte man – vorübergehend – vieles betäuben.
Zahlreiche Betrunkene am Wegesrand
In dem kleinen Hotel lernte ich eine deutsche Austausch-Grundschullehrerin kennen, die sich für drei Jahre in Quito verpflichtet hatte. Als sie in Quito ankam, wußte sie noch nicht, dass sie schwanger war. Sie hatte es gerade erfahren, und ihre größte Sorge war, wie die damals prüde deutsche Gemeinde diese Nachricht aufnehmen würde. Auf der anderen Seite glaubte sie auch, dass es in Quito leichter sei, jemanden zu finden, der das Kind während ihres Unterrichts betreute. Deshalb freute sie sich auf ihr Kind, obwohl sie unverheiratet war. Eine ledige Mutter hatte es damals nicht sehr leicht, besonders in Lateinamerika. Leider habe ich ihre Adresse verloren, so dass ich nicht erfahren konnte, wie es ihr ergangen ist.
Die Lehrerin nahm mich in ihrem aus Deutschland mitgebrachten VW öfter mit und zeigte mir die Umgebung, worüber ich sehr froh war. So fuhren wir auch einmal zum Äquatordenkmal, etwa 20 km nördlich von Quito. Wir fuhren auf der zukünftigen Panamericana, der „Traumstraße“, die einmal von Nordamerika bis an die Südspitze Südamerikas führen sollte. Damals sah die „Straße“ nicht wie eine Traumstraße aus: schmal und mit holprigem Kopfsteinen gepflastert, teils auch noch unbefestigt. Die schöne Umgebung entschädigte aber für den schlechten Weg.
Agaven und Kakteen am Äquator
Mitad del Mundo, Äquator-Denkmal, in den 60er Jahren
Am Äquatordenkmal gab es damals noch keinen Ticketschalter, keine Museen oder sonstigen Häuser, außer einer Bude, in der man Getränke und Kleinigkeiten kaufen konnte. Es gab überhaupt sonst keine Häuser in der Nähe. Mir wurde geraten, mich so vor das Denkmal zu stellen, dass ich das Denkmal genau zwischen den beiden Bergen sehen würde. Das tat ich auch: auf dem Foto befindet sich demnach der Berg links auf der Nordhalbkugelund der Berg rechts auf der Südhalbkugel. Ich folgte auch dem Rat, ein Bein links und das andere rechts von einer – damals gedachten – Linie zu stellen, so dass ich gleichzeitig auf der südlichen und auf der nördlichen Erdhalbkugel stand.
Als wir vom Äquatordenkmal wieder nach Quito zurückfahren wollten, kamen wir durch ein Dorf, in dem gerade ein Dorffest mit einer kleinen Blaskapelle und einer großen Trommel gefeiert wurde. Die Musiker spielten mit Begeisterung, aber für meine Ohren nicht besonders gut und zu laut, so dass wir die Einladung, am Fest teilzunehmen, nicht annahmen. Wir gebrauchten eine Notlüge und sagten, dass wir keine Zeit hätten und dringend nach Quito zurück müssten.
Hat dies auf Ned Hamson's Second Line View of the News rebloggt und kommentierte:
Vivaldi translation: Ecuador, Quito, the highest capital in the world – 2018
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