Reise nach Mexiko 1963

Mein halbjähriges Praktikum in Buenos Aires neigte sich dem Ende zu, aber ich wollte vor der Rückkehr nach Deutschland noch etwas von Lateinamerika sehen. Eines Tages bekam ich ein Angebot für ein sehr preiswertes Studententicket für einen Flug nach Mexiko-City und zurück mit der Möglichkeit, unterwegs mehrere Zwischenlandungen einzulegen. Das war eine einmalige Chance für mich. Deshalb arbeitete ich noch zwei weitere Monate bei der Bayer Argentina und unterrichtete außerdem nebenbei, bis ich genug Geld für die Reise hatte. Durch meinen Aufenthalt in Argentinien war ich wesentlich selbstsicherer geworden, und ich glaubte,  eine Reise durch Lateinamerika als Frau alleine bewältigen zu können. Dennoch war mir vor dem Flug ein wenig mulmig. Es war der erste Flug meines Lebens, und es war überhaupt das erste Mal, dass ich alleine eine Reise unternahm. Aber es war mir sehr wichtig, und so flog ich mit einer kleinen Propellermaschine mit mehreren Zwischenlandungen von Buenos Aires nach Méxiko.

Flug über die Anden von Buenos Aires nach Santiago de Chile

Ich hatte einen Fensterplatz und  konnte deshalb gut die Anden von oben sehen. Das Flugzeug, in dem ich saß, schien nicht das neueste zu sein, Öl lief die Tragflächen hinunter, und die Wandverkleidung vibrierte. Als wir einmal kurz in Turbulenzen kamen und das Flugzeug kurzfristig absackte, schrien die Leute laut auf, und auch mir nicht wohl bei dem Gedanken abzustürzen. Aber die Maschine fing sich wieder und erreichte Santiago de Chile, wo das Flugzeug aufgetankt wurde und neue Passagiere an Bord kamen.

Flug von Santiago de Chile nach Guayaquil, Ecuador

Der nächste Zwischenstopp war in Guayaquil in Ecuador. Wir landeten gegen 23 Uhr und konnten kurz aussteigen. Im kleinen Flughafen war es heiß und feucht, und die  Hitze nahm mir fast den Atem. Ich kam aus dem argentinischen Winter, und die Nächte waren bereits recht kühl. In Guayaquil bekam ich einen neuen Sitznachbarn, der den Fensterplatz neben mir vorbestellt hatte. Er kam mir etwas merkwürdig vor, weil er immer wieder einen Finger in sein Glas mit Coca-Cola steckte und ihn dann anschließend in seiner Jackentasche versenkte. Als er mein Befremden  bemerkte, holte er während der Zwischenlandung in Honduras ein winziges Äffchen aus der Jackentasche  hervor und gab es mir in die Hand.

Winziges Äffchen aus Ecuador, das gerade in meine Hand passte

So ein winziges Äffchen hatte ich noch nie gesehen. Es war sehr niedlich, als es an meinem Finger saugte und ebenfalls auf einen Tropfen Cola hoffte. Mein Sitznachbar erklärte mir, dass er Antiquitätenhändler in Los Angeles, USA, sei und dass er in Ecuador für sein Geschäft viel eingekauft hätte. Die Flugzeugbesatzung durfte nichts von dem Äffchen wissen, weil es verboten war, Tiere mit in die Kabine zu nehmen. Anschließend zeigte mir der Amerikaner noch andere Gegenstände aus Ecuador, die er im Handgepäck hatte – das schwere Gepäck war im Laderaum des Flugzeuges -, unter anderem einen handtellergroßen mumifizierten Totenkopf. Er erklärte mir, dass der Kopf eine Trophäe aus einer kriegerischen Auseinandersetzung zweier Indianerstämme im Amazonasgebiet sei. Er war mit Hilfe eines besonderen Verfahrens geschrumpft, das nur diese Indianer beherrschten. Ich fand die Vorstellung unerträglich, dass dieser Schrumpfkopf mit den verzerrten Gesichtszügen einmal der Kopf eines lebendigen Menschen gewesen war. Deshalb sagte ich meinem Sitznachbarn, dass ich jetzt schlafen wollte, als er mir noch weitere Gegenstände zeigen wollte. Draußen war sowieso nicht mehr viel zu sehen, weil es sich bewölkte.

Kurz vor der Landung in Méxiko D.F., Méxiko-Stadt, hatte ich ein sehr erfreuliches Erlebnis: ich sah den schneebedeckten Gipfel des Popocatépetl aus dem Flugzeugfenster scheinbar direkt neben mir. Es war für mich ein eindrucksvolles  Erlebnis, diesen Bergriesen so unerwartet nah zu sehen. Mit seinen 5642 m ist er der zweithöchste Vulkan Méxicos (die Höhenangaben variieren: manchmal wird der Vulkan mit 5452 oder auch mit 5462 m Höhe angegeben).

Vulkan Popocatépetl,  5452 m

Nach fast 24 Stunden erreichten wir endlich México D.F. (Distrito Federal), d.h. Méxiko-Stadt. Während des Fluges musste ich die Uhr dreimal jeweils eine Stunde zurück stellen, denn Méxiko liegt bedeutend weiter westlich als Buenos Aires. Es war inzwischen früher Nachmittag, und es war die heißeste Tageszeit. Ich schwitzte fürchterlich, denn ich war noch immer viel zu warm angezogen. Mein Chef in Buenos Aires hatte mich bei der Bayer-Vertretung in México angekündigt, deshalb war bereits ein privates Zimmer bei einer Bayer-Angestellten vorbereitet. Deren Freundin, die sonst das Zimmer bewohnte, war zu der Zeit in Urlaub. Postkarte von Mexiko-Stadt aus dem Jahr1963

Im lateinamerikanischen Ausland freute man sich im allgemeinen immer über den Besuch von Landsleuten aus der Heimat und man tat alles, um diesen den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Als arme Studentin wurde ich besonders gut aufgenommen und man wollte mir möglichst viel zeigen. Mein Zimmer lag in unmittelbarer Nähe des Chapultepec-Parkes, der damals zu den schönsten Stadtparks der Welt zählte. Mit seinem See, dem Zoologischen Garten und den mehrhundertjährigen Zederbäumen war er ein beliebtes Ausflugsziel für die Einwohner der Stadt. Es gab dort unter anderem Musikkapellen, die mit großer Begeisterung und in voller Lautstärke spielten, und es wurde auch getanzt.

Musikkapelle im Chapultepec-Park in Méxiko D.F.

Ich besichtigte das Schloss im Park, das auf einem kleinen Hügel lag und das Ende des 17. Jahrhunderts für die spanischen Vize-Könige erbaut worden war. Dort residierte unter anderem Kaiser Maximilian mit seiner Gemahlin Charlotte. Vom Schloss aus hatte ich eine herrliche Aussicht über die ganze Stadt, sofern es nicht allzu dunstig war. Wenn ich den Park durch das „Tor der Löwen“ verließ, kam ich auf die damalige Prachtstraße von Méxiko D.F., die drei Kilometer lange Prachtstraße Paseo de la Reforma mit vielen, damals modernen, Hochhäusern und Hotels. Am Denkmal Karls IV., dem sogenannten Caballito, das Karl IV. hoch zu Ross zeigt, begann die Avenida Juarez. Vom Caballito aus konnte ich zu Fuß zum Kuppelbau des Palacio de Bellas Artes, dem Palast der Schönen Künste, und zum Zócalo, offiziell Plaza de la Constitución, im Historischen Zentrum gehen.

Palacio de Bellas Artes, Postkarte von 1963

Auf dem großen Zócalo befindet sich die gewaltige Kathedrale und das nicht weniger beeindruckende Regierungsgebäude des Palacio Nacional. Vor der Eroberung und Vernichtung der aztekischen Stadt Tenochtitlán durch die Spanier stand auf dem Platz der Palast des Königs Moctezuma II.

Kinder in mexikanischer Tracht vor der Kathedrale auf dem Zócalo

Vom Chapultupec-Park bis zur Plaza de la Constitución und auch auf dem umgekehrten Weg konnte man sich auch mit einer Peso-Taxi fahren lassen. Diese Taxis fuhren ganz bestimmte Strecken ab und waren dadurch von anderen Taxis zu unterscheiden, dass der Fahrer den Arm aus dem Fenster streckte, wenn im Taxi noch Platz war. Wenn man selbst einsteigen wollte, streckte man ebenfalls den Arm aus, wenn man aussteigen wollte, nannte man dem Taxifahrer den Straßennamen oder sagte “esquina” (Ecke). Die Taxifahrt kostete einheitlich einen Peso (3 Pesos entsprachen damals 1 DM). Diese Peso-Taxis waren sehr beliebt, da sie sehr schnell und billig waren. In den 1960er Jahren war es auch überall sicher, und man konnte sich als Frau unbedenklich in der Stadt bewegen, auch in den Nebenstraßen und -plätzen, wo ich die Mexikaner in ihrem Alltag erleben konnte.

Beim Friseur in Méxiko D.F. 

Ich wurde auch häufig zu Ausflügen in die Umgebung von México D.F. mitgenommen, wenn z.B. ein Kirchenoberster aus Hamburg bei der Bayer-Vertretung zu Besuch war oder irgendein wichtiger Industrieller. Für mich war immer noch Platz. So kam ich viel herum und konnte auch einige Pyramiden der Azteken sehen, die nur mit dem Auto erreichbar waren. Die Kulturen der Azteken und Mayas haben mich schon als junges Mädchen begeistert. Deshalb war ich froh, dass ich einige Überreste dieser grandiosen Kulturen selbst sehen konnte.

Einen sehr interessanten Ausflug machte ich mit dem Bus zum „Pueblo Mágico Taxco“, das mir als ein als besonders sehenswerter Ort empfohlen wurde. Unterwegs bekam ich einen Eindruck von der Landschaft der zentralmexikanischen Hochebene, auf der Taxco liegt.

Kakteen und Agaven in der zentralmexikanischen Hochebene

Taxco war in ganz Méxiko und darüber hinaus als „die Silberstadt“ bekannt. Bereits 1529 hatte Hernán Cortez die Stadt gegründet, vor allem wegen der reichen Silbervorkommen in der Gegend. Schon allein die Hanglage in der spektakulären Gebirgswelt machte einen besonderen Reiz aus.

Kolonialstadt Taxco

In Taxco, der alten Silberstadt

Weitere Ausflüge machte ich mit leitenden Bayer-Angestellten und deren verschiedenen Ehrengästen zum Beispiel zur berühmten Wallfahrtskirche Basilica de Guadalupe.

Basilica de Guadalupe, Postkarte von 1963

Außerdem besichtigte ich die Aztekenpyramide von Tenayuca, die schwimmenden Gärten von Xochimilco und ich fuhr nach Puebla auf 2170 m Höhe. Puebla ist eine der schönsten alten Städte von Mexico, die von den Zwillingsvulkanen Popocatépetl und Ixtacchuate und anderen Vulkanen überragt wird. Unterwegs besuchte ich außerdem einen Markt in Tetitlan und eine schöne alte Pfarrkirche.

Markt in Tetitlan

Besonders gut gefallen hat mir auch die archäologische Stätte von Tula, der ehemaligen Hauptstadt der Zivilisation der Tolketen, die ungefähr 75 km nordöstlich von Mexiko City liegt.

Tula, das kulturelle Zentrum der Tolketen (Postkarte von 1963)

Die Firmenleitung der Bayer-Vertretung im México D.F. bot mir an, die Sekretärin, die in Urlaub war,  für die drei Wochen im Sekreriat zu vertreten. Sie hatten gehört, dass ich ich Buenos Aires bereits Sekretariatsarbeiten gemacht hatte. Das war einerseits für mich sehr verlockend, auf der anderen Seite hatte ich die Flüge für die Weiterreise bereits fest gebucht und wollte nicht noch einmal alles ändern. Mein Plan war,  danach noch für einige Zeit nach Ecuador und anschließend nach Peru zu reisen.

Über die an México anschließenden Reisen in Südamerika habe ich in folgenden Blogbeiträgen geschrieben:

https://seniorenumdiewelt.wordpress.com/2018/03/09/ecuador/

https://seniorenumdiewelt.wordpress.com/2018/03/14/durch-die-hochtaeler-der-anden-in-peru/

https://seniorenumdiewelt.wordpress.com/2018/03/18/machu-picchu-ein-tag-allein-in-der-stadt-ueber-den-wolken/

23 Kommentare zu „Reise nach Mexiko 1963

  1. Liebe Marie, schön von dir zu hören. Du warst ganz schön mutig als junge Frau alleine zu reisen. Als ich dein Beitrag lass, musste ich an meinen Flug mit der Propellermaschine denken, welches auch mein erster war und sich ähnlich angespielt hatte. Aber es hat dich nicht davon abgehalten weiter zu reisen, was ich sehr gut finde. Liebe Grüße Maria

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  2. Das sind sehr schöne Fotos von den Anden, liebe Marie. Ich habe Mexiko ebenfalls in sehr guter Erinnerung behalten. Die Leute sinf aufgeschlossen und freundlich. Die Mariachi-Kapellen gefallen mir sehr. Feurige Musik bei den Fiestas! Genauso feurig wie der mexikanische Pfeffer in den Tacos …

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    1. Vielen lieben Dank. Die Menschen in Mexiko sind wirklich sehr freundlich. Die Mariachi-Musik macht einfach gute Laune, deshalb habe ich mich auch immer sehr gefreut, wenn eine Band spielte.

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  3. Viele Jahre später konnte ich die Halbinsel Yucatan mit den alten Tempeln besuchen. Leider gab es aber schon zu viele Touristen, so dass man nicht alles in Ruhe alles ansehen konnte.

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  4. Ich war in den Jahren 1973 bis 1975 durch meine Arbeit für die Lufthansa mehrmals dort, auch mit meiner Mutter im Urlaub. Es gab natürlich Touristen, aber nicht allzu viele. Vielleicht hing es mit der Jahreszeit zusammen? Diese alten Inka-Tempel in Chichen Itza und Uxmal fand ich beeindruckend. Sie strahlten eine magische, mystische Atmosphäre aus. Die Inkas sollen dort magische Riten und Spiele durchgeführt haben.

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    1. Ich war erst im Jahr 2001 dort, Du warst noch in einer günstigeren Zeit da. Am beeindruckendsten ist für mich die alte Inka-Festung Machu Picchu. Dort habe ich viele Stunden allein verbracht, es war für mich wirklich eine magische Atmosphäre schon allein durch die exponierte Lage und die umgebenden Berge.

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      1. In Mexico City war ich auch. Das hat mir aber nicht ganz so gut gefallen. Diese riesige Stadt fand ich sehr laut und lärmend, dazu mit der Hitze zu staubig. Der Süden Mexikos gefällt mir besser.

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  5. Die Stadt muss sich sehr zum Negativen verändert haben. Das sagen auch Bekannte, die noch vor einiger Zeit in Mexico City waren. 1963 war die Stadt längst nicht so groß und es war auch noch nicht so versmogt und laut, es gab nicht viele Autos. Die negative Veränderung findet man leider in vielen lateinamerikanischen Städten.

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    1. Liebe Heike, vielen Dank für Deine netten Worte. Ich habe großes Glück gehabt, dass ich das alles durchführen konnte, das hätte ich wenige Jahre vorher nicht gedacht.
      Du hast immer so wunderschöne Ideen, vielen Dank für alles.
      Ich wünsche Dir auch einen schönen Tag.

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  6. Maria, te saludo con la emoción de leer tus publicaciones. En cada artículo entregas tus experiencias y hablas con bastante conocimiento de los temas. Te felicito porque noto que en verdad viviste con plenitud cada momento que estuviste en estos lugares. Recibe saludos con afecto y amistad.

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    1. I am very glad that you like México too. You are rigtht, the colours are really beautyful. I met some young ladies who lived for a while in México and now try to organize travels to the country (actually not very easy) and issued a mexican cookbook (lati-nita.de/kochbuch). There you can also see the wonderful coulours.

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